Sicherheits-Standards für Veranstaltungen
Wir möchten Veranstaltungen anbieten, auf denen Teilnehmer sich sicher fühlen UND sicher sind.
Das betrifft sowohl sicheres Equipment, als auch sicheres Handeln, emotionale Sicherheit, sichere Aufklärung in Bezug auf Risiken und sichere Verwendung von Techniken und Equipment.
Wir glauben daran, dass alle Veranstalter dieses Ziel teilen.
Viele proklamieren ein "Safe Space" zu sein.
Um "Safe Space" nicht bei einer Worthülse zu belassen, sondern mit Inhalt zu füllen und die oben genannten Ziele zu erreichen, haben wir jüngst eine Schulung abgehalten in der alle Mitglieder unseres Teams, sowie Veranstalter anderer Bondage-Veranstaltungen teilgenommen haben. Es war unser ganz explizites Ziel mit möglichst vielen Veranstaltern zusammen einen runden Tisch zu bilden.
In dieser Schulung haben wir Standards erarbeitet, die auf unseren (Fushicho-) Veranstaltungen gelten sollen und zu denen wir andere Veranstalter herzlich einladen, sie zu kopieren oder als Basis für die eigene Ausarbeitung von Standards zu wählen.
Dieser Blog-Beitrag ist ein Protokoll der Schulung zur transparenten und öffentlichen Ergebnisdarstellung.
Welche Erfahrungen habt ihr schon mit potentiell gefährlichen Situationen oder eingetreten Unfällen gemacht (selbst erlebt und bei anderen beobachtet)?
- Gerissene Seile
- Sturz der gefesselten Person
- Abgerutschte Fesselungen
- Verrutschte, sich verzogene Fesselungen
- Nicht sichere Suspension Lines
- Nicht sichere Suspension Points
- Ohnmacht / auch bis zur Bewusstlosigkeit
- Atemrestriktionen (Gefesselte Person sagt sie bekommt schlecht Luft / ungewollt)
- Beinahe-Ohnmacht
- Übelkeit und Kaltschweißgkeit
- Nervenschäden
- Konsensverletzung
- Unsicherheit in der Rolle des Gefesselten, ob das was gerade passiert in Ordnung ist und man das weiterhin mitmachen möchte
- Verzweiflung und Unsicherheit von Außenstehenden, ob die beobachtete Situation seitens des Models erwünscht ist
Wir haben unsere Schulungs-Gruppe in 2 Gruppen aufgeteilt (Modelle / Rigger) und beide Gruppen einzeln an der Frage arbeiten lassen, zum einen, weil unter Modellen/Riggern in sich geschlossen nochmal eine andere Offenheit entstehen kann, über Erlebnisse mit "Gleichgesinnten" zu sprechen, zum anderen, um zu sehen, ob es verschiedene Perspektiven gibt, je nachdem, ob man sich fesseln lässt, oder selbst fesselt.
Die Erfahrungen beider Gruppen waren sehr ähnlich.
Welche Schwierigkeiten habt ihr im Umgang mit potentiellen Gefahren / eingetretenen Unfällen erlebt?
(Selbst erlebt und in Bezug auf andere)
- Angst vor "Gesichtsverlust" wenn Schwierigkeiten angesprochen werden
- Unsicherheit, ob man kompetent genug ist, einzugreifen, oder etwas zu der Situation zu sagen
- Unsicherheit, wer auf der Veranstaltung dafür zuständig ist, in potentielle Gefahrensituationen einzugreifen
- Unsicherheit, ob die Fesselleistung Absicht ist oder nicht
- Angst sich zu blamieren
- Angst in Hierarchien reinzugrätschen
- Unsicherheit in Bezug auf die eigene Wahrnehmung der Gefahr. Ist sie zu subjektiv?
Hierarchien sind ein Problem!
Das sind sie innerhalb der Fessel-Szene generell, aber wo Menschen sich davor fürchten in potentielle Gefahrensituationen einzuschreiten, weil sie finden, dass der potentielle Gefährder in der Hierarchie höher steht als sie selbst und sie sich selbst nicht als kompetent ansehen haben wir ein Problem!
Ebenfalls wo Menschen fürchten, sie würden ihr Gesicht verlieren, würden ggf. gemieden werden oder dürften nicht mehr zu Veranstaltungen, wenn sie einschreiten.
Ebenfalls zeigt sich: Handlungsfähig sind Menschen nur dann, wenn Zuständigkeiten klar sind (Ansprechpartner benannt sind) und wenn es klare Regeln gibt, was indiskutabel als gefährlich eingeschätzt wird.
Das Ziel dieser Schulung, Standards zu setzen, was als Gefahrensituation gilt, kann Menschen helfen, sich handlungsfähig zu fühlen, weil sie einen Standard haben, der sie in ihrer Gefahrenwahrnehmung legitimiert.
Welches Verhalten wollen wir bei Veranstaltungsteilnehmern in Bezug auf sicheres Verhalten voraussetzen (und dies auch im Veranstaltungstext erwähnen)?
- Wir setzen einvernehmliches Fesseln und Handeln voraus. Ein "Nein" bedeutet "Nein". Ein "Weiß nicht" bedeutet "Nein".
- Wir ermutigen dich, dich jederzeit mitzuteilen. Keine falsche Scheu! Was du fühlst ist richtig und mitteilungswert.
- Überschätzt eure Kenntnisse nicht. Dies gilt sowohl für Modelle als auch für Rigger. Fesselt nicht, um einander oder Zuschauern etwas zu beweisen. Hört auf euch und auf euer Bauchgefühl.
- Kenne und Kommuniziere dein Risikoprofil mit deinem Fesselpartner (beiderseits). Das niedrigere Risikoprofil gibt den Takt vor. Wenn du noch neu bist und dein Risikoprofil noch nicht kennst, lies dir bitte unser Sicherheits-Briefing durch und frag unser Team bei Rückfragen. Ein Risikoprofil dient dazu, klar zu machen, wie du mit den Risiken, die Fesseln mit sich bringen kann umgehst.
- Einigt euch vor eurer Fesselzeit auf einen Kommunikationsstil. Braucht ihr ein Safeword? Nutzt ihr den Ampelcode? Wird während des Fesseln jeder Schritt kommuniziert? Sind alle Handlungen während des Fesseln explizit zustimmungspflichtig? Wird überwiegend schweigend gefesselt?
- Habe ein Schneidewerkzeug griffbereit in deiner Nähe. Wir empfehlen dir, dass du dieses schon getestet hast und mit der Anwendung vertraut bist.
- Ansagen von Spottern (Teammitglieder, die dir beratend und helfend zur Verfügung stehen und Fesselnde beobachten, sowie bei Gefahr in Verzug einschreiten) ist Folge zu leisten.
- Wenn du etwas zum 1. oder 2. Mal machst, oder generell, wenn du dir unsicher bist (gilt für Rigger und Modelle) hol dir einen Spotter zu deiner Fessel-Szene dazu. Spotter stehen beobachtend in deiner Nähe und greifen nur dann ein, wenn du nach Hilfe fragst, oder eine Gefahr droht.
- Wir möchten, dass du nicht alkoholisiert, unter dem Einfluss von Drogen oder krank fesselst. Bei uns herrscht keine Zero-Tolerance-Alkohol-Policy, wir sehen dich als erwachsenen Menschen, der selbst entscheiden kann, wie viel er trinkt und was er dann noch fesselt. Sobald wir dich in deiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt wahrnehmen, oder du stark alkoholisiert bist, untersagen wir dir zu fesseln (wenn du das nicht selbst schon genauso wahrnimmst).
Was stellen wir zur Verfügung, um ein hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten?
- Jeder Veranstaltungsteilnehmer bekommt den Sicherheits-Briefing Flyer ( vor allem alle neue Teilnehmer).
- Auf diesem Flyer werden NAMENTLICH die Ansprechpartner/Spotter der jeweiligen Veranstaltung vermerkt und bei der Begrüßung persönlich vorgestellt.
- Auf diesem Flyer wird das allgemeine Safeword vermerkt, dass übergreifend für alle Veranstaltungsteilnehmer gilt und das bei Nennung ein direktes Eingreifen durch Ansprechpartner erwirkt.
- Dieses allgemeine Safeword heißt: MAYDAY.
- Wir haben sichtbar Schneidewerkzeuge ausliegen und weisen Teilnehmer bei der Begrüßung darauf hin.
- Pro Veranstaltung sind mindestens 3 Spotter / Ansprechpartner anwesend (bei 15-20 Teilnehmern).
- Es ist IMMER ein Spotter/Ansprechpartner im Dojo oder Wintergarten (Sichtweite / nicht selbst fesselnd).
- Unser Equipment wird vor jeder Veranstaltung geprüft. Die Balkenkonstruktion ist statisch geprüft. Die Bandschlingen TÜV genormt. Die Karabiner ISO zertifiziert. Bambusse werden auf Verschleiß geprüft. Aufhängungsseile sind aus Kunsthanf.
Dieser Sicherheits-Briefing-Flyer darf von anderen Veranstaltern heruntergeladen, verwendet, vervielfältigt und verändert werden.

Was definieren wir als potentielle Gefahrensituation in die wir in jedem Fall eingreifen werden?
- Der Bight der Main-Suspensionline wurde nicht gesichert.
- Es wird ein Gravity Bight (Second Bight/ Pseudo Bight) gefesselt und unter Last gebracht, aber nicht mit der Suspension-Line genutzt, sondern die Last-tragende Suspension-Line geht durch einen anderen Punkt der Aufhängung.
- Eine Oberbrustlage droht kopfwärts über die Schulter abzurutschen (ABrutschen, nicht VERrutschen).
- Teilnehmer, die nicht auf der Whitelist stehen (*) verwenden Neckropes (*: Auf der Whitelist stehen Teilnehmer, die an unserem Seminar zu Strangulation und Ohnmacht mit Seilen teilgenommen haben).
- Es wird auf ein Safeword nicht reagiert (Natürlich kennen wir nicht von allen Gästen die individuellen Safewörter, aber angenommen jemand ruft mehrfach "Meerschweinchen" liegt die Vermutung nahe, dass dies ein Safeword ist).
- Main-Suspension-Lines werden von unten kommend nur mit Half-Hitches gesichert (ohne vorangegangenes Wrapping).
- Main-Suspension-Lines werden von oben kommend mit weniger als 2 Half-Hitches gesichert.
- Main-Suspension-Lines drohen sich zu öffnen.
- Main-Suspension-Lines sind verlängert worden (Mit einer Seilverlängerung).
- ---> ANMERKUNG: Wir haben uns bewusst nur für MAIN-Suspension-Lines entschieden, natürlich kann es auch schmerzhaft sein, wenn sich eine periphere Suspension-Line ungewollt öffnet, aber Fehler sind auch etwas lehrreiches und hier ist dann kein Leben in Gefahr.
- Deutlich sichtbare Materialschäden (aus der Entfernung sichtbares ausgefranstes Seil, Deckenhaken guckt aus der Decke raus, u.ä.)
- Offensichtliches: Jemand schreit um Hilfe, jemand ist offensichtlich verletzt, jemand ist ohnmächtig, usw.
Wie gehen wir als Spotter in eine Gefahrensituation herein?
- Langsam auf das fesselnde Paar zugehen.
- Dabei versuchen Blickkontakt zum Rigger zu suchen.
- Nicht von hinten anschleichen. Frontal auf den Rigger zugehen.
- Leise und ruhig aber deutlich sprechen.
- Ich -Botschaft: Ich sehe, dass / Ich nehme wahr, dass .
- Klare Aussage der drohenden Gefahr MIT Handlungsempfehlung (Beispiel: Ich sehe, dass der Gravity Bight deiner Main-Line nicht verwendet wurde. Dies kann dazu führen, dass der Gravity Bight öffnet und dein Model um die Wegstrecke des Seils tiefer fällt. Bitte entferne diese Line und mache sie erneut fest indem du durch den Gravity Bight gehst.).
- Hilfe anbieten (Vor allem wenn ihr merkt, der Rigger ist gestresst, überfordert, gerät in einen Tunnelblick).
- Wenn das Model nicht akut persönlich betroffen ist (dem Model geht es schlecht, ist schwindelig, etc), dann solltet ihr euer Feedback an den Rigger richten und zwar leise und so, dass das Model nicht Panik bekommt, weil ihr grade gesagt habt "diese Line hier kann sich lösen und dein Model herunter fallen". --> Denkt daran, das Model ist in einer Handlungsunfähigen Situation und möchte so etwas nicht unbedingt hören.
- Ist es hingegen so, dass das Model unmittelbar betroffen ist, also z.B. Schwindel, Übelkeit, starke Schmerzen, Unwohlsein, etc empfindet, sprecht ihr immer persönlich mit dem Model und redet konstant und ruhig auf das Model ein, dass ihr da seid, dass ihr euch kümmert, dass ihr die Situation löst.
- Sobald ein Spotter in einer Situation ist, mischen sich die anderen NICHT ein, es sei denn der Spotter verlangt per Handzeichen oder Rufen nach Unterstützung. Es ist nicht sinnvoll, wenn 3 Leute um jemanden herumstehen und auf diesen einreden.
- Sobald die Gefahrensituation vorbei ist / Das Paar entfesselt ist, bieten wir dem Paar an, ein Nachgespräch zu führen. Hier kann in Ruhe erklärt werden, warum eingegriffen wurde und wie solche Situationen zukünftig vermieden werden können.
Wie gehen wir mit Situationen um, die wir nicht als Gefahrensituation definiert haben, die uns aber trotzdem ein schlechtes Gefühl machen?
- Hol dir Unterstützung durch einen weiteren Ansprechpartner/Spotter und bitte um eine zweite Meinung zur Situation.
- Durch die zweite Meinung kannst du dir sicherer werden, ob du eigene Gefühle in die Situation projizierst oder wirklich eine mögliche Gefahr vorliegen könnte.
- Wenn ihr euch einig seid, dann geh vorsichtig in die Situation (nur einer!).
- Es gilt das gleiche wie oben "wie gehen wir in eine potentielle Gefahrensituation herein" mit dem Unterschied, dass du auf keine akute Gefahr hinweist, sondern deine Wahrnehmung und dein Gefühl dazu mitteilst und einen VORSCHLAG überbringen kannst.
- Unter Umständen sprichst du das Model direkt an und fragst, wie es sich aktuell fühlt.
- Biete auch hier ein Nachgespräch an, um ausführlich miteinander besprechen zu können, was zu deinem unwohlen Gefühl geführt hat.
Es folgte eine Wiederholung zu Ohnmacht (Ursachen, Symptome, Handeln), Bewusstlosigkeit (Ursachen, Symptome, Handeln) und Herzstillstand (Ursachen, Symptome, Handeln). Wir haben an der Puppe Reanimation geübt und über Fessel-relevante Details (z.B.: Kann ein Mensch in einer TK mit Armen auf dem Rücken reanimiert werden?/ Wann muss ich abfesseln, wann haben andere Dinge Vorrang?) gesprochen.
Bei Interesse, Erste-Hilfe Kenntnisse aufzufrischen, nehmt einfach Kontakt mit uns auf. Das ist kein Thema, dass sich sinnvoll online darstellen lässt, sondern viel besser in persönlichem Austausch und Training lernen lässt.




